Freitag, 3. Oktober 2008

Die 5 manisch-depressiven Phasen des Ironman-Rookies

Du hast es geschafft, sei es durch eigene Leistung bei einem europäischen oder internationalen Ironman (man beachte die feine aber gewollte Abstufung), der Lotterie, der ebay-Charity oder durch wahnsinnig gute und wahnsinnig selten genutzte gute Connections: Dein erster Tag in Kona.

Wie geht es dem gewöhnlichen Ironman-Rookie an der Geburtsstätte des wohl wichtigsten Triathlon-Events abseits des alle vier Jahre stattfindenden Spektakels bei den olympischen Spielen? Die Gemütszustände unseres fiktiven Rookies lassen sich in 5 Phasen einteilen.

1. Die Winter-Training-Defizit-Depression
Du kennst es gut. ALLE, aber wirklich ALLE anderen haben die Chance ihre Vorbereitung auf den Ironman Hawaii in Kalifornien, irgendwo in der Wüste rund um Palm Springs - wo es neuerdings Ansiedlungsversuche einer fernöstlichen Känguruart (Macropus rufus farisiensis) mit auffallend ungleichmässig verteilter Gesichts- und Bauchpartiebehaarung zu verzeichnen gibt – oder zumindest auf der Kanareninsel Lanzarote.

WIE soll ich da mithalten können. Ich werde SICHER krank und mir fehlen BESTIMMT 5.000 Radkilometer. Außerdem bekomme ich Sonnenbrand und habe Jetlag ohne Ende.

2. Die Völlig-Im-A****-Reise-Ermattung
Endlich nach einem ewiglangen Tripp über fast 30 Stunden von Kleinklickersdorf via Frankfurt – London – Chicago – Los Angelos – Honolulu – Keahole (Big Island, Hawaii) ist man angekommen. Die Option mit den vielen Stopps ergab sich so, weil „weil man ja 75 US-Dollar sparen konnte“ – so die besser Hälfte und noch weitere Fliegen mit dieser einen Klappe erschlagen konnte – den Haussegen inklusive.

„Du Schatz, schau mal. Wenn wir hier einen Stopp einlegen (und da und dort), können wir noch eine Stadtbesichtigung machen.“

Nicht bedacht hatte unser dynamisches Duo - nennen wir es Ulf und Uschi - auf ihrer Fernreise, die Strapazen einer solchen und die Tatsache, dass dummerweise an 3, statt einem Zwischenstopp das Gepäck selbst aufgenommen und wieder aufgegeben werden musste.

Macht sich praktisch mit einem selbstgebastelten Radkoffer („1988 gab es noch gar keine Radkoffer, trotzdem haben wir das geschafft.“ erklärte der lokale Radfachhändler, der auch mit Francesco Moser höchstselbigst die Alpenpässe auf einem Tretroller erfahren hat.), dessen Paket-Klebeband schon die erste liebevolle Sicherheitskontrolle der us-amerikanischen TSA nicht überlebt hatte.

P.S.: Aus besagten Sightseeingtouren wurde dann doch nichts…

3. Die Ankunfts-Endlich-Am-Ziel-Euphorie
Trotz völliger Ermüdung, ebensolcher Dehydratation
(die virtuelle Anzeige des eigenen Wasserspeichers zeigt – 12%), Blähungen von dem servierten Airline-Junk (Convenience food klingt irgendwie edler als Fertigessen) und dicken Beinen (jaja, diese Wundersocken sind was für blutige Anfänger) spürt man die Lava schon auf der Gangway. „Hey, riech mal.“ Tatsächlich riecht es nach Meer, Blüten, schwül-süßlichen Gemisch, dass nur subtropische und tropische Gestade auszeichnet.“

Der Wind zosselt in den Haaren, als man den kleinen beschaulichen Flughafen Keahole erreicht und die Gangway hinab wankt. „Schade, dass es so dunkel ist.“ Dunkel ist es in der Tat in Kona. Allenfalls mit der dunklen Beschaulichkeit in einem 5-Seelendorf inmitten der schwärzestens Schwarzwalds zu vergleichen. Jetzt schnell noch die Radkoffer abholen und ab ins Hotel.

4. Die Ernüchterungs-Schock-Therapie
JEDER, nein nicht jeder aber viele mussten in ihren Jahren in Kona zwei Dinge erleben. Zunächst ist das Gepäck nicht da, soll aber auf alle Fälle *haha* gleich mit dem nächsten Flieger aus L.A. LAX kommen – wenn es nicht zwischenzeitlich nach Queensland, Australien unterwegs ist.

Dann ist man so wabbelig, schwabbelig und schwach. Der erste Lauf über 30 (!) lächerliche Minuten am ersten Morgen gerät zum Desaster: Hungerast, Wassermangel und um einen herum hüpfende Endsiebziger im Dauerhigh lassen Zweifel an allem aufkommen. „Warum sind die alle so scheiße-dämlich gut drauf? Wie heisst das Zeug und wo gibt es das?“

Schlagartige Ernüchterung macht sich breit. „Dann zumindest einmal Schwimmen, das kann ich!“ Der erste Ausflug ins Meer gerät zur Panikattacke. „The big blue“ ist nicht jedermanns Sache und der hoffnungslos überfüllte erste „Quarter-Mile“-Abschnitt erinnert eher an eine Taxifahrt in Bombay, als an geregeltes Schwimmen – dazu die Wellen und die Strömung die an einem zerrt.

Die zweite Einheit am Nachmittag wird nicht viel besser. Im Kona Aquatics Center ist das Wasser drückend warm, die Locals scheinen einen Kühlschrank ein- und Flossen angebaut zu haben und einschwimmen hat in einem us-amerikanischen Mastersprogramm keine Bedeutung. Dann doch noch kurz auf das Rad (es kam tatsächlich mit der ersten Maschine). „Uff, viel Verkehr hier.“ Pffff, Plattfuss – der Ersatzschlauch liegt im Hotel irgendwo zwischen Schwimmbrille, Powergel und dem Schwimmanzug für den Renntag.

5. Die Es-geht-ja-doch Entspannung
Nach 2-3 Tagen hat man sich eingewöhnt. Der Morgen beginnt nicht schon um 2:30 in der Nacht, sondern wie es sich gehört zwischen 6:15 Uhr und 7:30 Uhr, man verläuft sich nicht mehr und die kälteste Aircondition (altdeutsch: Klimaanlage) von Alaska bis zum Southpoint hat in den zahllosen Shops und Schüppchen dank mitgeführter Zwischenlage ihren Schrecken verloren.

Das Meer macht keine Angst mehr, Laufen am Allii Drive, Radfahren bis zum Four Season Hotel oder Waikola Village - ALLES keine Problem. The big easy und das große Mundwerk werden im Lava Java bei der zweiten von drei bestellten Zimtschnecke ausgefahren, während der Blick die massiven Oberschenkel von Stadler, die Knallwaden von Chrissie Wellington und den Hintern der netten Baristas jeglichen Geschlechts mustert. „ALLES kein Problem“- ist ja auch nur ein Ironman-Triathlon.

„Wie, was? Abartiger Wind ab Kawaihae heute? Energy Lab brutal warm, windstill?“… Nur noch 8 Tage bis zur Bewährungsprobe…