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Montag, 3. Oktober 2011

Die schizophrene gesellschaftliche Haltung gegenüber Doping


Die Deutsche Triathlon Union (DTU) versucht nach etlichen kleineren und mittleren Skandalen, die zuletzt auch auf Funktionärsebene um die ehemaligen Präsidenten Dr. med. Klaus Müller-Ott und Claudia Wisser kreisten, über das Thema Doping und Antidoping das Hausrecht wiederzuerlangen.
Der Verdacht auf Doping besteht (suspicions of doping persist). Photo: Neil Jones
An einem kompakten Wochenende vom 2. bis 3. Oktober 2011 setzt der Spitzenverband auf Aufklärung und Gesprächsrunden. Augenmerk soll gerade auch auf den Breitensport gelegt werden. Begründet wird die Initiative mit einer "hochtechnisierten und auf Leistungsgedanken ausgerichteten Gesellschaft", die sich auch im Sport in einer "Spirale" nach Hochleistung befände. "Der Griff zu unerlaubten Mitteln und Methoden, teils unwissentlich, teils mit Absicht, erreicht neben dem Spitzensport zunehmend auch den Breitensport" heißt es weiter in einer Pressemitteilung.

Rund 60 angemeldete Teilnehmer werden sich mit den Initiatoren Volker Oelze (Anti-Doping Koordinator der DTU) und Thomas Begemann (Sprecher der Kampfrichter) über seichte Einstiegsthemen, wie "Dopingfalle Hausapotheke" (Dr. Lothar Schwarz), "Rechtliche Folgen einer Sperre" (Dr. Frank Rybak) aber auch grundsätzlichen, für die Gesellschaft relevanten Fragestellungen, wie "Gesellschaft - Jugendkultur - Doping" (Prof. Gerhard Treutlein) auseinandersetzen.

Solange die DTU die anderen, ebenfalls essentiell den Triathlon gefährdende Ausuferungen grober Unsportlichkeit wie etwa unerlaubtes Windschattenfahren und Streckenabkürzen nicht großflächig in den Griff bekommt, wird sich - leider - auch das Reizthema Doping nicht eindämmen lassen. 
Schließlich ist einem ambitionierten Sportler oder pubertierendem Nachwuchstriathleten schwerlich zu verdeutlichen, warum das relativ gefahrlos umzusetzende illegale Windschattenfahren oftmals kaum geahndet wird und der Leistungsmanipulation durch Substanzen, Verfahren oder Methoden ein medienwirksames Stigma auferlegt wird. Doch auch dann springt der Tiger nicht weit genug...

Solange in Politik, Sportpolitik, der staatlichen und privatwirtschaftlichen Sportförderung und der Gesellschaft weiterhin diese schizophren-inkonsequente Haltung der Förderung von Leistung gepflegt wird, bleibt es bezüglich Antidoping bei reiner Augenwischerei.

Solange renommierte Sportwissenschaftliche Institute oder Teilbereiche der Universitäten von Freiburg und Köln ohne strafrechtliche Konsequenzen, wie zuletzt im Spiegel von dieser Woche nachzulesen war, über Jahrzehnte statt Antidopingforschung das Gegenteil, nämlich Dopingforschung betrieben haben.

Solange noch immer horrende Gelder für Medaillen, gerade auch an Verbände, gezahlt werden, solange der Sport mit seinen Flaggschiffen IOC und FIFA weiterhin autonom handelt und es keinen umsetzbaren Dopingparagraphen in Deutschland gibt, ist Aufklärung über Doping allenfalls lobenswert. Aufklärung adressiert aber nur einen idealtypischen Menschen aus der Romantik, der im Hochleitungs- und zum Teil auch im Leistungssport kaum mehr existiert.

Ketzerisch sollte hinterfragt werden, ob die gesellschaftliche Rolle des Sports und sein Idealbild des edlen, sauberen Sportlers nicht seit mindestens 100 Jahren überholt sind. Spätestens ab dem Zeitpunkt als Politik und Sportindustrie die Vorteile herausragender sportlicher Erfolge schätzen und zu instrumentalisieren gelernt haben, war der Zeitpunkt für eine Zäsur gekommen. Vielleicht benötigt die Gesellschaft weiterhin ganz im Sinne von "Panem et circenses" das Spektakel, die hochgezüchteten Freaks für die Show, um dem Breitensport seine Rolle im Sozial- und Gemeinwesen und der Gesundheitsförderung zurückgeben zu können.

Kann ein Spitzensport mit hochgespritzten und genetisch manipulierten Athleten bestehen? Wäre nicht gesellschaftliche Ächtung die Folge oder sind Sportler nur die Vorhut? Soll also Doping im Spitzensport komplett freigegeben werden? Können angemessene Rahmenbedingungen, wie eine gute medizinische Betreuung und Berufsversicherung gegen Folgeschäden und Berufsunfähigkeit über ein unethisches Handeln hinwegsehen? Muss das staatliche Fördersystem für den Spitzensport auf jeder Ebene gestrichen werden?

Athleten, Opfer an Marionettenfäden und Täter zugleich, kann man besser vor sich und den grauen Hintermännern schützen, indem man sie eben aus der Grauzone ihres Dopingumfelds herauslöst. Chancengleichheit kann man auch im Doping gewähren, indem Methoden und Präparate frei, bezahlbar und in normierter Qualität auf dem Markt verfügbar sind. Als Nebeneffekt werden die großen Gewinnspannen der Physiotherapeuten, Manager, Trainer und Ärzte aus dem lukrativen Handel mit Dopingsubstanzen wegbrechen. Talente, die ohne Manipulation einen Sport als Profi ausüben wollen, schaffen es dann eben nicht mehr bis ganz nach oben.

Der Mensch bleibt ein sich selbst-optimierendes Individuum. Sport bleibt ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der Hedgefonds und Investmentbanker zugekokst und vollgedröhnt gegen Staaten zocken, Studenten und Absolventen in Prüfungen und Assessmentcenter Müdigkeit und langsamer Synapsentätigkeit des Gehirns mit harten Pillen voller Ritalin und anderer Wirkstoffe genauso ein Schnippchen schlagen wollen, wie Frau und Herr Mustermann beim morgendlichen Griff zur Kanne Kaffee oder Tochter Susi Mustermann beim vorfreudigen Vorglühen mit Energy Drink und leichten Drogen - bevor es zur Dorfdisco geht.

P.S.: Ich persönlich trinke keinen Kaffee, verzichte auf Koks, Ritalin, Drafting und Co. Ich freue mich beim Sport auf die mentale und körperliche Auseinandersetzung mit mir selbst. Daher benötige ich persönlich auch keine Wettkämpfe (mehr). Eine Hausrunde bietet all das, was den Kern des Sporttreibens (für mich) ausmacht.


Red. Anmerkung vom 30.09.2011, 7:00 Uhr: Mit meinen Blogeintrag, der auf mehreren Ebenen lesbar ist, konnte zumindest das erste kurzfristige Ziel erreicht werden. Aspekte der voller Doppelmoral steckenden Antidoping-Arbeit und Diskussion werden zum Wochenende auch bei der DTU auf den Tisch gebracht, die sonst wie leider bei solchen Veranstaltungen verbandsübergreifend üblich, heruntergefallen wären.

Natürlich ist es für alle Beteiligten sehr unangenehm, wenn man sich bei der aktuellen Momentaufnahme ein Scheitern im Kampf gegen Doping attestieren muss. Dieser Blogeintrag ist letztlich ein Plädoyer für mehr Konsequenz - wertfrei und offen. Er ist ein Plädoyer für eine konsequente Entwicklung in beide Richtungen.

Wo bleibt denn der Antrag der (deutschen und internationalen) Sportverbände (unter Führung der DTU) auf eine Strafgesetzgebung von Doping und damit verbundener Aufgabe eines Teils der Autonomie?