Donnerstag, 17. Januar 2013

Nach der Dopingbeichte - Lance Armstrong muss zur eigenen Rettung andere, mächtige Köpfe rollen lassen.


Lance Armstrong, gefallener Weltstar des Ausdauersports hat sich bei der TV-Aufzeichnung der Oprah Winfrey Show am Montag mit einem Tross von rund 10 Personen eingefunden, bevor er nach einem 45-minütigen Ausdauerlauf zurück in seinen Privatjet nach Hawaii begeben hat und von dort die Ausstrahlung der Show am Donnerstag verfolgen und auf Twitter kommentieren kann. Unter den begleitenden Personen war auch sein langjähriger Geschäftspartner, Team-Miteigentümer und Freund William Stapleton (Bill Stapleton).
Eine wenige Personen haben US Cycling in den 90er Jahren geprägt: Wird Lance Armstrong Personen aus diesem Kreis als Kronzeuge und Whistleblower belasten oder konzentriert er sich auf Protagonisten aus UCI, A.S.O. und US Cycling? Photo: Cyclismas.com [1]
Nach jahrelangem, erbitterten Leugnen und zahlreichen Opfern auf seinem langen Weg zu 7 Tour de France Titeln zeigt Armstrong sich - mit dem Rücken zur Wand stehend - emotional reuig, geradezu geläutert. Jetzt, wo er aus seiner eigenen, fragwürdigen Stiftung Livestrong herausgeworfen wurde, selbige Einbrüche in den Spendeneinnahmen zu verzeichnen hat und auch sonst viel schief läuft beim Egomanen aus Austin, kommt angeblich die Wahrheit ans Licht.

Um der us-amerikanischen Choreografie des öffentlichen Büßergangs medienwirksam zu folgen, muss das Interview mit Oprah sein. Für die Öffentlichkeit wird nach den Testballons mit Artikeln in New York Times und USA Today von letzter Woche der emotionale Höhepunkt der Phönix-Kampagne auf dem Weg zur Vergebung lanciert. Es folgt der Klapps auf die Hand durch Justiz und Sportpolitik, der Griff in den Geldbeutel und schon bald werden die Amerikaner vergeben und vergessen haben.

Den Antidoping-Behörden USADA und WADA wird diese eine am Donnerstag bei der Ausstrahlung und durch weitere schon jetzt "durchgesickerte" Ankündigungen zu weiteren Aussagen vor den Behörden zu sehende Wahrheit hoffentlich nicht ausreichen. Sie werden hoffentlich nicht einknicken, wenn Armstrongs Strategiestab es schafft, die öffentliche Meinung zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Um aus der ausweglosen Situation der Ächtung und Isolation herauszukommen wird Armstrong auch ehemalige Feinde und Opfer wie Christophe Bassons, Filipo Simeoni, Betsy Andreu, Frankie Andreu, Greg Lemond, Kathy LeMond, Tyler Hamilton und David Walsh um Verzeihung bitten müssen. Die Liste ist lang.

Armstrongs Motivation ist zweifelhaft, ehrliche Reue ist fraglich. Armstrong ist trotz aller Impulsivität viel zu berechnend. Eine signifikante Senkung der ausgesprochenen lebenslangen Wettkampfsperre, Schutz vor Verurteilungen wegen Meineids, der Versuch die finanzielle Verluste in Grenzen zu halten dürften neben der Wiederherstellung des angekratzten Egos seine Hauptmotive sein.
Kalkül und ein sorgfältiges Abwägen, welche Personen geopfert werden können und müssen, werden in den letzten Wochen in den Sitzungen mit seinen Anwälten Gestalt angenommen haben. Im bestmöglichen Fall wird Armstrong als Kronzeuge im Prozess um das mit staatlichen Mitteln unterstützte Radteam U.S. Postal und des Meineids einer Gefängnisstrafe entgehen, indem er die richtigen Köpfe purzeln lässt. "Richtig" ist dabei mehrdeutig. Das Justizministerium (Department Of Justice) hat nach Informationen von CBS sowohl das Angebot einer Zahlung von 5 Millionen US-Dollar für etwaige Vergehen aus den Zeiten von U.S. Postal und den Antrag als Kronzeuge und Whistleblower in einem ersten Bescheid zurückgewiesen. [1b]

Es müssen und werden in den nächsten Wochen andere Namen als ehemalige und amtierende US Cycling und UCI-Spitzenfunktionäre wie Hein Verbruggen und Pat McQuaid oder beliebiger Dealer fallen. Johann Bruyneel und Dr. Michele Ferrari sind vergleichsweise kleine Fische und nur ein erster Schritt. Es muss steil in der Hierarchie nach oben gehen. Etwa zu Thom Weisel, wie die New York Times vom 14. Januar 2013 mutmaßt.[2] Eine weitere Möglichkeit ist die Nennung von ehemaligen oder amtierenden Verantwortlichen der Amaury Sport Organisation (A.S.O.), wie Patrice Clerc, Jean-Marie Leblanc oder Christian Prudhomme, den Machern der Radrundfahrt Tour de France. Spiegel Online sieht Martial Saugy, Chef des Dopinglabors Lausanne und sogar den ehemaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy in der Schusslinie. [3] Je weiter die Köpfe von Austin, Texas und den USA verortet werden, desto besser für das Standing des US-Amerikaners auf dem Weg zurück in die Gesellschaft.

Am 21. Oktober 2012 wurde auf DNF-is-nop-option.com ein Flowchart mit dem Netzwerk der tatsächlichen Macher und Entscheider im us-amerikanischen Radsport der Armstrong-Ära veröffentlicht. Es ist zweifelhaft, dass entscheidende Namen genannt und fallen werden, denen Armstrong geschäftlich und freundschaftlich verbunden ist. Werden die "richtigen" Namen genannt, manövriert sich Armstrong an seinem Haarschopf aus der Grube heraus und kann mit etwas Glück den Einfluss seiner Vertrauten dabei noch stärken.

Weniger Glück scheint indessen die UCI zu haben. Nach der Abfuhr durch WADA und USADA an der "unabhängigen Kommission" der UCI teilzunehmen, schlägt der ehemalige WADA-Boss und jetziges ICO-Mitglied Richard Pound eine Zäsur von 4 bis 8 Jahren für den Radsport gegenüber Reuters vor. Systemimmanente Probleme und Personalien könnten so in Ruhe gelöst werden. Konkret sollen die olympischen Radwettbewerbe 1 oder 2 Olympiaden aussetzen. Sportpolitisch schlimmer kann es für die UCI nur noch kommen, wenn die ihm angeschlossenen Verbände meutern würden, sowie Sponsoren- und öffentliche Fördergelder zurückgefordert oder zurückgehalten würden. [4]

Zurück zum Triathlon: Sollte der Coup gelingen, die lebenslange Dopingsperre auf  acht Jahre zu reduzieren, ergibt sich gemeinsam mit dem letzen von Armstrong zugegebenen Dopingjahr eine sehr interessante Rechnung. Im Optimalfall kann Armstrong schon 2013 zurück in den Triathlonsport, so scheint das Kalkül des Texaners zu sein. [5] Armstrong oder Vertraute könnten auch die wahrscheinlich 2013 oder 2014 zum Verkauf anstehende World Triathlon Corporation (WTC) mit den Ironman Events für einen niedrigen bis mittleren neunstelligen Betrag erwerben und eine stärkere Einbindung von Armstrong und seiner Stiftung bewirken. Zur Not ließe sich nach dem Kauf die WADA kurzfristig ausbooten, falls ein Startrecht von Armstrong trotz Dopingsperre erstrebenswert erscheint. [6]