Mittwoch, 12. Oktober 2016

Das Patrick Lange Dilemma: 4 Watt pro Kilogramm oder Watt absolut beim Ironman Hawaii?

Patrick Lange war für viele Beobachter des Ironman Hawaii 2016 eine Überraschung. Der gebürtige Bad Wildunger ist zunächst als Leichtathlet mit mittelprächtigem Erfolg durch viele Disziplinen gegangen, bevor er als Mittel- und Langstreckenläufer eine erste sportliche Heimat fand. Von dort wechselte er erfolgreich als Jugendlicher zum Cross-Country MTB. Der Deutsche Meister der U15 konnte aber nach einem schweren Sturz nicht mehr an frühere Leistungen anknüpfen, weil bei technischen Abfahrten eine mentale Blockade die Konkurrenzfähigkeit beim Anstieg durch verhaltene Downhill-Fahrten unterminierte.
Mit etwa 15 bis 16 Jahren fand das Rad-Lauf Paket zum Triathlon und zu seinem ersten Triathlon-Trainer Martin Zülch. Er war der richtige Ansprechpartner für viele Aspekte der weiteren Entwicklung. Noch heute greift der Ausdauersportler auf damals erlernte Prinzipien zurück. Als Quereinsteiger war die damalige "Schwimmschwäche" offensichtlich und hat letztlich eine Karriere im olympischen Zyklus bei der DTU verhindert. Vor Erfolgen bei zahlreichen Triathlons bis zum Gewinn der Militär-WM (2009, Estland) bewahrte die schwache erste Disziplin das Leichtgewicht nicht. National war der wiederholte Gewinn der deutschen Meisterschaft im Duathlon (2010-2012) sicherlich ein weiterer Karrierehöhepunkt. [1]

Langes Potential, mittlerweile ein sehr guter Schwimmer, blitzte bei seiner Premiere über die Langstrecke beim Ironman Texas mit verkürzter Radstrecke auf: 2:40:01 für den Marathon sind eine Hausnummer, Sieg als Rookie inklusive. Wegen der widrigen Umstände, der aggressiven Renngestaltung gelten für den Ironman in Kona grundsätzlich andere Regeln, ein intensiver Lernprozess mit herben Niederlagen gilt für fast alle Debutanten. Daher fand der ausgebildete Physiotherapeut bei den Medien vor dem Rennmorgen bei allem Wohlwollen nur als Außenseiter auf das Podium Beachtung.

In einem Interview auf Slowtwitch nach dem Gewinn der Bronzemedaille ist am Rande ein wichtiger Aspekt für die Zukunft des 30jährigen Laufrakete fast beiläufig benannt worden. Als wichtiger Faktor ist der Einfluß nicht stark genug zu betonen. Lange berichtet von einem Gespräch mit seinem jetzigen Trainer Faris Al-Sultan bzgl. des angepeilten Energieaufwands auf dem Rad und der Watt-Meßgrößen: "Er sagte zu mir, wenn ich an der Spitze (auf der Radstrecke) sein möchte,, muss ich 4,0 (Watt/kg Körpergewicht) fahren. Am Ende schaffte ich es nicht ganz. Es waren etwa 3,9 (Watt). Aber ich fühlte mich ziemlich gut dabei."[2] Die Radzeit betrug 4:37:39 inkl. einer Zeitstrafe von 5+ Minuten. Ein in der zweiten Disziplin mittelprächtig aufgelegter Jan Frodeno benötigte 4:29:00 und ein mit seiner Radperformance zufriedener Sebastian Kienle 4:23:55.

Bergauf war Lange mit seinem Gewicht von 63kg schon früh eine Bank und auch im Blick auf die Weltspitze auf Augenhöhe. Das harte Fahren auf Flachstücken voller Gegenwind und Böen oder auch die langgezogenen Wellen bergab von Hawi zurück nach Kawaihae oder von dort über Waikoloa zurück nach Kona fordern gänzlich andere Leistungsprofile, die traditionell schwerere Fahrer begünstigen. Schwere Fahrer besitzen zwar meist eine etwas größere Windangriffsfläche an der Stirn, Masse rollt aber bergab und flach bekanntlich leichter. Dieser Umstand drückt sich auch in höheren absoluten und oftmals etwas niedrigeren relativen Wattzahlen pro Kilogramm Körpergewicht bei kräftigen Zeitfahrern aus. Das ist das Patrick Lange Dilemma. Nimmt Lange einige Kilogramm Muskelmasse an den richtigen Stellen in den Beinen zu, mag ggf. die relative Leistung pro Kilogramm abnehmen, die höhere absolute Leistung in Watt wird es wahrscheinlich in einer besseren Gesamt-Radzeit durch Vorteile bei den flachen und abfallenden Radpassagen danken. Vom Jahr 2015 bis zum Auftritt in Kona 2016 hat Lange durch Krafttraining und ein Augenmerk auf qualitativ hochwertige Ernährung trotz Lebensweise als Vegetarier rund 4kg Masse vor seiner Premiere auf Big Island zulegen können. Ob ein sich 2017 an härteres Radfahren anschließender Marathon über 42,195km 1, 2, 3 oder mehr Kilogramm an Mehrgewicht nicht bestraft, steht auf einem anderen Blatt. 1-2 Kilogramm Muskelmasse in den unteren Extremitäten extra könnten es durchaus noch sein. Von Massenträgheit über Hitzemanagement und Energiezufuhr ändern sich in der Folge viele Parameter, die zu beachten sind. 

Diese feine Balance um das Körpergewicht ist der Schlüssel zu Erfolg und Mißerfolg bei den weiteren Versuchen als die Nr. 1 auf den berühmten Alii Drive von Kailua-Kona, Big Island of Hawaii einzubiegen. Der amtierende Inhaber des Laufstreckenrekords des Ironman Hawaiis von 2:39:45 muss sich zurück an Zeichentisch und Werkbank begeben, um das Optimum zwischen Gewicht, relativer und absoluter Radleistung in Watt herauszufinden. Bob der Baumeister lässt für dieses Puzzle beste Grüße ausrichten...[3]

Update vom 23.10.2018:
In einem Video auf SPORT1 beschreibt Patrick Lange den relativen Kraftaufwand bei seiner kontrovers diskutierten Titelverteidigung am 13. Oktober 2018 mit ca. 4,1 Watt pro Kilogramm Körpergewicht.[4, 7] Die in diesem Artikel postulierten 4 Watt stellen augenscheinlich trotz weiter optimierter Technologien und einiger Alleinstellungsmerkmale für Lange (Projekt 101 Aeroaufsatz) auf dem Rad mittlerweile eine Untergrenze dar, wenn man den IRONMAN Hawaii als Top-Läufer relativ sicher gewinnen möchte.[5] Bei Langes Wettkampfgewicht von ca. 63-64kg resultiert der Kraftaufwand beim Zeitfahren in 258-261 Watt durchschnittlicher absoluter Leistung. Lange selbst spricht gegenüber SPORT1 von einer tatsächlichen Leistung in einem "Bereich von knapp über 250 Watt".[6] Die etwas unpräzisen Aussagen stützen die These, dass der zweifache Weltmeister unter 4.1 Watt realisiert haben muss und bei der mündlichen Angabe aufgerundet hat. Bei 63kg Körpergewicht liegen Werte von 4.01 bis 4,1 allesamt mehr oder minder über 250 Watt, bei 64kg liegen alle Werte von 4,01 bis 4,06 unterhalb von 260 Watt.  Abweichende Aussagen zum Körpergewicht am Renntag liegen zwischenzeitlich nicht vor.


Ein Blick auf die Daten des Powermeters wären in vielfacher Weise sehr interessant, weil man neben der durchschnittlichen Leistung auch die Belastung in den verschiedenen Stoffwechsellagen gut herausarbeiten könnte, etwa die Anteile der Belastungsspitzen durch Anstiege, Antritte und Überholmanöver, sowie die absolute und relative Kraftersparnis durch regelkonformes Fahren hinter Andreas Dreitz oder in den verschiedenen Gruppen mit den ganz eigenen Dynamiken an Verpflegungsständen, Gegenwindpassagen, Kurven und Anstiegen. Hat man diese Daten zusammen mit der Fahrgeschwindigkeit kann man recht einfach den Rückstand bei einer theoretischen Solofahrt ausrechnen und von dort die Zielvorgaben für die Jahre 2019ff. entwickeln.

Vielleicht stellt Lange die Daten nach  Ende seiner Karriere öffentlich zur Verfügung. Vorher wird er eine Veröffentlichung aus renntaktischen Gründen höchstwahrscheinlich nicht vornehmen. Sein Trainer Faris Al-Sultan, ein anderer Typ Profi, hätte die bestehende Kritik an der Renngestaltung mit einer Transparenzoffensive durch Offenlegung der Daten lässig gekontert. Jede Spekulation zur absoluten Energieersparnis oder zum Rennverlauf wäre schlagartig beendet. [6]

Müsste Lange bei einem zukünftigen IRONMAN auf Hawaii alleine im Feld fahren oder würde eine Windschattenbox von 20 Metern eingeführt, würden sich seine Chancen schlechter darstellen, weil er mit deutlich mehr Solo- oder Führungsarbeit auf dem Rad wegen Ermüdung signifikant langsamer laufen würde. Die Laufleistung könnte sich analog zu seinem Finish beim IRONMAN Frankfurt 2018 (2:47:15) in einem Raum von 2:44 bis 2:48 Stunden bewegen.

Das Postulat dieses ursprünglichen Artikels müsste sich bei diesen Annahmen also eher in Richtung 4,3-4,5 Watt/kg (270-288 Watt absolut) bewegen. Alternativ kann eine Gewichtszunahme  eine taktische Variante darstellen, ohne die Leistung pro Kilogramm Körpergewicht steigern zu müssen.  Bei 65-66kg Körpergewicht würden folgende rechnerische Werte erreicht: 279-297 Watt, statt der von Lange für 2018 angegebenen knapp "über 250 Watt" und mehr taktische Spielräume eröffnen, sofern die sehr ökonomische Laufleistung Langes durch moderate Gewichtszunahme nicht zu sehr leidet. Eine moderate Kombination aus zwei Maßnahmen, etwas 0,5kg Gewichtszunahme und leichte Erhöhung der Wattleistung pro Kilogramm Körpergewicht könnte neben rein rennsituativen Elementen wie Gruppendynamiken eine gute Taktik für das Projekt " Kona Triple" darstellen.[6] 
  1. Youtube: Patrick Lange bei Bob Babbit
  2. "He said to me that if I want to be at the front I have to ride 4.0. In the end I did not quite make it, and it was about 3.9 but I felt pretty good about it."
  3. Bob der Baumeister: Ironman Hawaii und die Deutschen, ein Erklärungsversuch
  4. Patrick Lange besucht nach Sieg bei Ironman auf Hawaii SPORT1: Ironman-König zu Besuch bei SPORT1, 2018
  5. Project 101, 2018
  6. Video: Q&A Patrick Lange inkl. Wattangaben, 2018
  7. Ein Weltmeistertitel in Teamarbeit, Patrick Lange sichert sich mit Hilfe von Andreas Dreitz erneut IRONMAN Hawaii, 2018
  8. Patrick Lange, Triathlon - Leidenschaft am Limit

Dienstag, 11. Oktober 2016

Bob der Baumeister: Ironman Hawaii und die Deutschen, ein Erklärungsversuch

Der 8. Oktober 2016 wird in mehrfacher Hinsicht in die Geschichtsbücher der Lifestyle-Sportart Triathlon eingehen, die von Amateuren und Profis gleichermaßen mit Spaß und viel Herzblut betrieben wird. Nach 1997 war zum zweiten Mal das männliche Podium komplett in deutscher Hand. Waren es im Jahre 1997 Thomas Hellriegel, Lothar Leder und Jürgen Zäck, sind es bei der Auflage 2016 Jan Frodeno, Sebastian Kienle und Patrick Lange, ergänzt um Anja Beranek (4.) bei den Frauen, Andreas Böcherer (5.) und Boris Stein (7.).
Nach 1997 treffen sich mit Sebastian Kienle (Silber), Jan Frodeno (Gold) und Patrick Lange (Bronze) zum zweiten Mal drei Deutsche auf dem Podium des Ironman Hawaii Triathlons zu Blumenzeremonie und Champagnerdusche. Photo: WTC - Ironman.com

Titelverteidiger Jan Frodeno kann sich als erster deutscher Ironman ohne Schwächen in allen drei Disziplinen nicht nur mehrfacher (zweifacher) Ironman-Weltmeister, wie etwa Normann Stadler (2004, 2006) nennen. „Frodo“ gehört zum illustren Kreis der erfolgreichen Titelverteidiger und Verteidigerinnen in der Lavawüste auf Big Island, der größten und vielseitigsten Insel im Archipel: Mark Allen, Dave Scott, Craig Alexander, Tim DeBoom, Paula Newby-Fraser, Natascha Badmann, Chrissie Wellington, Mirinda Carfrae, Lori Bowden, Sylviane Puntous und Daniela Ryf sind seit spätestens 2016 Mitglieder im exklusiven „Repeat“-Club. [1]

Die Schweizerin Ryf wiederum hat es geschafft den Streckenrekord von Carfrae (8:52:14, 2013) um starke 5:28 Minuten auf 8:46:46 zu drücken und gewinnt zusehends das Format Chrissie Welingtons Nachfolge anzutreten und vielleicht sogar die Erfolgsbilanz der zurückgetretenen Britin zu übertrumpfen.
Daniela Ryf hat ebenfalls den Weltmeistertitel verteidigen können. Als Sahnehäubchen gibt es einen neuen Streckenrekord mit 8:46:46 gleich dazu. Photo: WTC - Ironman.com

Patrick Lange, stürmt als Kona-Rookie in 2:39:45 bei seinem formal zweiten Triathlon über die Langstrecke von Rang 23 nach dem Radfahren und 5 Minuten Zeitstrafe wegen eines falschen Überholvorgangs („Blocking“) auf das Podium. Der gebürtige Bad Wildunger demontiert dabei einen Marathonrekord aus dem Jahr 1989 von Mark Allen und stößt die Tür zu einer neuen Dimension weit auf: 2:40:04 war bis zum 7. Oktober 2016 die Messlatte, die schnellste Zeit auf Hawaii. Der historischen Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass 1989 die Streckenführung unterschiedlich war, der 2. Wechsel in die Laufzeit inkludiert wurde und Allens inoffizielle Netto-Marathonzeit 2:38:53 betragen hat. Wie Scott am 10. Oktober in einem Interview aber treffend formuliert hat, gehört der Eintrag in den Rekordbüchern mit vollem Recht Lange. [2]

Der Ironman Hawaii 2016 war aus internationaler Sicht ein historischer Tag, aus deutscher Sicht sicherlich noch sehr viel mehr. Er ist nur vergleichbar mit dem ersten Sieg eines Deutschen auf Hawaii 1997 durch Thomas Hellriegel, dem Olympiasieg von Jan Frodeno in Peking 2008 und dem Weltmeistertitel auf der Kurzstrecke durch Daniel Unger in Hamburg 2007.

Profitieren deutsche Langstrecken-Triathleten
beim Puzzlespiel "Erfolg beim Ironman"
von deutschen Tugenden: einer Schwäche
für technische  Detailliebe, wissenschaftlicher
Herangehensweisen? Photo: BBC: Bob der Baumeister
Die Zeit versucht sich dem Phänomen Triathlonland, Triathlonerfolg der deutschen Athleten in einem Artikel anzunähern. Ein Erfolg auf der Langstrecke, der allesamt von Athleten der 1., 2. und nun 3. Generation aus Bundes- und Landeskadern auf der olympischen Distanz erzielt wurde.

Warum sind die Deutschen auf der Langstrecke nun so erfolgreich? Die Metapher von Bob dem Baumeister versucht bei Zeit online Hilfestellung bei der Antwortsuche zu geben. [3]

Jan Frodeno stößt gegenüber der dpa in ein ähnliches Horn, wie die Zeit«Wenn du dich in Deutschland auf der Ironman-Distanz behaupten willst, musst du absolute Weltklasseleistungen zeigen», sagte Frodeno. In Deutschland habe man eine «ganz gute Trainingsmethodik, außerdem kommt uns die deutsche Akribie sehr entgegen. Wir erleben goldene Zeiten» [4]

"Vorsicht, Nichtschwimmer!"

Weniger Edelmetall, sondern mehr Blech gibt es für die Elite-Triathleten auf der olympischen Kurzstrecke. Die sich darstellenden Probleme werden in einem gesonderten Artikel skizziert. [5]

Links

  1. Ironman Hawaii, alle Medaillen
  2. Dave Scott zum Laufrekord von Patrick Lange
  3. Triathlon: Ein Sport für deutsche Ingenieure
  4. Frodeno kritisiert deutsche Triathlon-Funktionäre
  5. Vorsicht Nichtschwimmer! Die Deutsche Triathlon Union und Olympia

Ergebnisse 2016 Ironman Hawaii Herren

  1. Jan Frodeno (GER) 8:06:30
  2. Sebastian Kienle (GER) 8:10:02
  3. Patrick Lange (GER) 8:11:14
  4. Ben Hoffman (USA) 8:13:00
  5. Andreas Böcherer (GER) 8:13:25
  6. Timothy O'Donnell (USA) 8:16:20
  7. Boris Stein (GER) 8:16:56
  8. Bart Aernouts (BEL) 8:20:30
  9. Ivan Raña (ESP) 8:21:51
  10. Frederik Van Lierde (BEL) 8:21:59
  11. Andy Potts (USA) 8:25:35
  12. Matt Russell (USA) 8:25:52
  13. David NcNamee (GBR) 8:28:05
  14. Marko Albert (EST) 8:28:20
  15. Ronnie Schildknecht (SUI) 8:29:11

Ergebnisse 2016 Ironman Hawaii Damen

  1. Daniela Ryf (SUI) 8:46:46
  2. Mirinda Carfrae (AUS) 9:10:30
  3. Heather Jackson (USA) 9:11:32
  4. Anja Beranek (GER) 9:14:26
  5. Kaisa Lehtonen (FIN) 9:15:40
  6. Michelle Vesterby (DEN) 9:19:05
  7. Sarah Piampiano (USA) 9:22:31
  8. Lucy Gossage (GBR) 9:25:57
  9. Asa Lundstrom (SWE) 9:22:59
  10. Carrie Lester (AUS) 9:28:17
  11. Camilla Pedersen (DEN) 9:31:15
  12. Heather Wurtele (CAN) 9:32:51
  13. Linsey Corbin (USA) 9:33:51
  14. Mary Beth Ellis (USA) 9:38:52
  15. Sarah Crowley (AUS) 9:42:34

Montag, 10. Oktober 2016

Vorsicht Nichtschwimmer! Die Deutsche Triathlon Union und Olympia

Weniger Edelmetall als beim Ironman Hawaii 2016, sondern mehr Blech gibt es für die Elite-Triathleten auf der olympischen Kurzstrecke. Olympiasieger Jan Frodeno bemängelt den fehlenden Glauben und fehlendes Vertrauen des Verbandes in den aktuellen Kader, kratzt mit seiner Kritik aber nur an der Oberfläche. Natürlich ist Deutschland alleine wegen der klimatischen Gegebenheiten keine Schwimmnation wie die USA oder Australien. Eine sich ausdünnende Infrastruktur, mit sich manifestierenden Bäderschließungen, schlechten Öffnungszeiten und sinkender Wassersicherheit bei Schulkindern und Jugendlichen als Folge sinkender Unterrichtseinheiten im Schwimmen sollten aber nicht alleinige Entschuldigung herhalten. [1, 2]
Die Triathletinnen und Triathleten der Deutschen Triathlon Union haben im Elite-Bereich seit mehreren Jahren im Schwimmen und damit der vorentscheidenden ersten Disziplin den Anschluss an die Weltspitze verpasst. Photo: 3athlon.org e. V.

Die Artikelüberschrift wird den Athletinnen und Athleten dennoch nicht gerecht, ist überspitzt formuliert aber notwendig. Die olympische Kurzstrecke läuft derzeit den Erfolgen aus eher strukturellen Gründen hinterher. Wichtige Weichenstellungen zum Beseitigen der deutlichen Schwimmschwäche im olympischen Triathlon wurden über Jahre nicht behoben und müssen auch zeitlich viel früher ansetzen, als bei den U23- oder Elite-Kadern. Wichtige Akzente setzen im Nachwuchs auf Landesebene dabei auch Trainer wie Ron Schmidt und Christian Weimer um nur zwei zu benennen.

Schon bei der Sichtung von Quereinsteigern zeigen die US-Amerikaner mit Olympiasiegerin Gwen Jorgensen, wie man erfolgreich ehemalige Schwimmerinnen und Läuferinnen an den Triathlon heranführt. Das in 2015/2016 neu aufgelegte Stipendiats-System für us-amerikanische Universitäten wird auch internationale und deutsche Talente anziehen. Sind es im Jahr 2016 gerade einmal 14 teilnehmende Universitäten, sollen es in 3-5 Jahren bereits 40 sein - Schwergewichte aus aus der Ivy League (Yale University, Princeton University, Columbia University, Harvard University, Brown University, Cornell University, Dartmouth College, University Of Pennsylvania) eingeschlossen.

Mit Blick auf die Ergebnisse des Deutschen Schwimmverbands (DSV) bei den Spielen der letzten Dekade mag man von einem erfolgreichen Austausch von Talenten wie in den USA nur träumen. Doch muss gesagt werden, dass der Talentpool statistisch gesehen natürlich durch seriöse Nachwuchsarbeit wachsen muss aber ausreichend Möglichkeiten zur kurzfristigen Auffrischung mit älteren Talenten vorhanden wären. Hier muss der kleingeistige und oft eifersüchtige Dialog zwischen den Verbänden auf Bundes- und Landesebene geändert werden. Auch ein Alistair Brownlee und sein Bruder Jonathan Brownlee haben nach einer Grundausbildung im Schwimmen und Crosslauf vergleichsweise spät zum Triathlon gefunden. Man muss nur die Voraussetzungen schaffen (wollen). Wo sind die Strategien und Scouts, die freundschaftlich mit dem Deutschen Leichtathletik Verband und dem DSV kooperieren, um Talente breiter und umfassender auszubilden und ggf. auch mehrfach untereinander auszutauschen? 

Noch kann die DTU aktuell von den früheren Investitionen in Kaderathleten der 1. und 2. Generation und sich daraus ergebenden Abstrahleffekten in der Außenwirkung zehren. So kann die DTU vielleicht den Zeitraum überbrücken, bis neue Talente ohne Schwächen in der ersten Disziplin 2024 oder vielleicht auch schon früher das Erbe der Frodenos bei Olympia antreten könnten. Im Bestandskader muss für Olympia 2020 endlich die Schwimmschwäche in den Griff bekommen werden. Alles was nach der 1. Disziplin kommt, ist dann ebenfalls der hohen Leistungsdichte in der ITU World Triathlon Series geschuldet, aber das Rennen darf doch nicht nach 18 oder 19 Minuten vorzeitig beendet sein! Die Deutsche Triathlon Union versucht als Dachverband derzeit gegenzusteuern, sieht sich aber auch mit diesen Maßnahmen in der Art und Weise der Umsetzung in der Kritik. [3, 4]

Hier stellt sich die ketzerische Frage, warum die DTU nicht mit z.B. der Schweiz und Österreich ein Joint Venture bei der Athletenentwicklung startet?! Man könnte in die aktuellen Strukturen um Sportdirektor Dr. Jörg Bügner, dem Trainer-Duo Ron Schmidt und Christian Weimer mit dem Australier Brett Sutton, trotz aller Kontroversen, den erfolgreichsten Triathlontrainer der Welt in eine Kooperation einbinden. Die Schweizer zeigen, dass eine komplexe Persönlichkeit wie Sutton eingebunden werden kann, wenn man es wirklich möchte. Mit Daniela Ryf und Nicola Spirig hat er in den letzten zwei Jahren zwei Weltmeisterschaften im Ironman und eine Silbermedaille in Rio erzielt. Die komplette Umstellung der Schwimmtechnik bei Spirig nach der Goldmedaille von London 2012, einer Babypause und dem mehrfachem Handbruch direkt im Olympiajahr 2016 muss in die Erfolgsbilanz mit eingepreist werden.
  1. Bob der Baumeister: Ironman Hawaii und die Deutschen, ein Erklärungsversuch
  2. Frodeno kritisiert deutsche Triathlon-Funktionäre
  3. Chance zur Neuausrichtung: Ralf Ebli und Dan Lorang verlassen Trainerstab der Deutschen Triathlon Union (DTU) nach Verfehlen der Zielvereinbarungen
  4. Deutsche Triathlon Union reagiert mit neuem Sportdirektor Dr. Jörg Bügner, Trainer-Duo Ron Schmidt und Christian Weimer
  5. Deutsche Triathlon Union e. V.