Montag, 6. August 2012

Festgelegt, die Prognose für den Olympischen Triathlon von London 2012:Goldmedaille für Alistair Brownlee

Tausend "hätte, wäre, wenn" wird man am Dienstag, den 7. August gegen 13:15 Uhr Ortszeit am Londener Hyde Park hören, wenn Alistair Brownlee die Goldmedaille im Triathlon vor seinem Bruder Jonathan gewonnen hat. Ja, jetzt wird sich festgelegt: Eine kleine Schwimm-Radgruppe mitsamt der Top-Favoriten Alistair und Jonathan Brownlee wird bereits beim Schwimmen ausbrechen und ein brutales Tempo auf dem Fahrrad anzetteln, dem das 55-köpfige Hauptfeld nur in den ersten 3 oder 4 Runden Zeit abringen kann, bevor es sich in taktischen Spielereien verliert.
Alistair Brownlee stehen weniger die sportlichen Gegner im Wege, als er selbst. Derzeit können allenfalls sein jüngerer Bruder Jonathan und der Spanier Javier Gomez Noya (von rechts nach links) mit dem Tausendsassa mithalten. Trotzdem lecken sich die starken Nationen wie Deutschland, Rußland und Frankreich, sowie die olympischen Top-Scorer Simon Whitfield, Bevan Docherty und Sven Riederer die Finger nach einem Podiumsplatz. Photo: Delly Carr/ITU Media
Ganz vorne auf dem Rad - bei dem die Brownlees häufig vorne an der Spitze anzutreffen sein werden - mit dabei der britische Edel-Domestique Stuart Hayes, der slovakische Brownlee-Sparringspartner Richard Varga, zwei oder drei Russen und ein oder zwei Franzosen, der Spanier Javier Gomez und Maik Petzold aus Deutschland. Das Hauptfeld wird exzellent zusammenarbeiten und versuchen, wie bei der Sprint-Distanz von Hamburg oder auch in Kitzbühel Ausreißversuche zu unterbinden oder die Führungsgruppe bis kurz vor dem Ende in Führung liegend regelrecht verhungern und Energie vergeuden zu lassen.

Nach brutalem Radsplit mit wenigen durch Nässe verursachte Stürzen an der berüchtigten Kurve am Buckingham Palace setzen sich die stärksten Läufer schon auf den ersten 500 Metern von den Helfern ab. Die Gruppe fliegt förmlich auseinander. Ab Kilometer 7 oder 8 ist allenfalls ein Trio aus 2 x Brownlee + 1 x X rund um den Buckingham Palace unterwegs. Der Rest ist Formsache, wie ein Finish Hand in Hand oder ein beherzter Zielsprint.

So weit die Theorie. In der Praxis lief sich Alistair schon einmal in London in totale Erschöpfung und verlor auf den letzten 400 Metern satte 9 Plätze. Es wird richtig, richtig spannend und extrem schnell  - und gefährlich werden. Ab 11:30 Uhr Ortszeit wird es nur ein Motto geben: (fast) Alle gegen die Brownlees und ihre Helfer!

Titelverteidiger Jan Frodeno strahlt einen Tag vor dem Showdown Optimismus aus: "Ich bin fit und es ist spannend, wie die verschiedenen Vorbereitungen gelaufen sind. Es hat richtig Spaß gemacht in den letzten Wochen, weil mich meine Verletzung nicht mehr behindert hat. Auch war es spannend zu sehen, wie der Körper auf die Phase reagiert hat, in der ich nicht laufen und mich in diesem Bereich mehr regenerieren konnte. Ich bin jedenfalls nicht nur hier, um bei Olympia einfach dabei zu sein. Die letzten Wochen haben eine riesige Herausforderung geboten und bis hierher hat es wunderbar geklappt. Zumindest den letzten Einheiten nach ist meine Laufform sehr gut und kämpft damit mit meiner guten Laune um die Tageswertung."

Steffen Justus, beständigster DTU-Triathlet der letzten zwei Jahre hat durch einen Leistungssprung im Schwimmen beim World Series Triathlon von Hamburg seine Chancen auf die Top 5 dramatisch erhöht. Wenn er die Form in London abrufen kann, könnte er bester Deutscher werden: "Ich möchte im Schwimmen wie in Hamburg eine gute Leistung abrufen und vorne mit dabei sein und dann möglichst in der Spitzengruppe auf die Laufstrecke gehen.

Wir haben in den letzten Tagen genau das getan, was uns in optimaler Form auf den Wettkampf vorbereitet und daher kann ich auch optimistisch sein. Ich habe jedenfalls im Training keinerlei Faktor gehabt, der mich nachdenklich machen müsste. Auch die Tempoeinheiten liefen rund, so dass ich bestens präpariert an den Start gehen kann. Und ich habe auch mit unseren 'Mädels' nach dem Rennen gesprochen und die waren beeindruckt von der Atmosphäre, das erhöht meine Vorfreude natürlich umso mehr.

Das wird sicherlich ein Rennen, das zunächst an einen Sprint erinnert, also Vollgas von Beginn an. Gut ist, dass ich eine Topposition beim Schwimmen [Schwimmstart wurde ausgelost] habe, da ich mit den schnellen Russen, neben den Brownlee-Brüdern und auch mit Jan [Frodeno] zusammen stehe. Was ich versprechen kann, ist, dass wir keinen so einfach wegkommen lassen werden. Ansonsten hoffe ich, vorne mit dabei zu sein, wenn es zum Laufen kommt und dann werde ich alles geben."

Maik Petzold, beim Schwimmen und Radfahren traditionell eine feste Bank hat seit dem 5. Platz beim Sprint-Triathlon von Hamburg 2012 neues Vertrauen in die eigene Laufform gesteckt. "Die letzten Trainingseinheiten liefen wirklich super." Auf Facebook relativiert er aber sogleich etwaige Mannschaftstaktiken, die nach dem Triathlon der Frauen laut wurden: "das ist triathlon, wir werden immer individualisten bleiben auch wenn es hier und da absprachen geben wird! sonst würden wir eine mannschaftssportart betreiben :-)"

National leicht eingefärbte Prognose:
1. Alistair Brownlee (GBR)
2. Jonathan Brownlee (GBR)
3. Alexander Bryukhankov (RUS)
4. Javier Gomez (ESP)
5. David Hauss (FRA)
6. Steffen Justus (GER)
7. Hunter Kemper (USA)
8. Sven Riederer (SUI)
9. Maik Petzold (GER)
10. Jan Frodeno (GER)

Gerne können Tipps angegeben werden. Sieg ergibt 2 Punkte, Platz jeweils 1 Punkt, eine Platz-Prognose mit max. einem Platz Abweichung 0,5 Punkte. Die Startliste aller 55 gemeldeten Triathleten hilft bei der Auswahl.

Sonntag, 5. August 2012

REPLAY: Das Finale des Olympischen Triathlons der Frauen

Das Finale des Olympischen Triathlons der Frauen mit dem Photofinish von Nicola Spirig und Lisa Nordén steht in den verschiedenen Medienarchiven der Sender zur Verfügung. Anbei eine Version des Weltsignals der EBU (European Broadcasting Union) mit den Umgebungsgeräuschen ohne weiteren Kommentar: Eurovisionsports.tv/london2012/?video_id=8181.
Nicola Spirig (SUI) setzte sich im Triathlon von London im Photofinish  gegen Lisa Nordén (SWE) durch. Photo: IOC - LOCOG - Omega Timing

Samstag, 4. August 2012

Olympia Triathlon London: Haug, Dittmer, Bazlen "verschenken" Podium durch fehlende Teamtaktik

Nicola Spirig aus der Schweiz und die Schwedin Lisa Nordén haben den von zahlreichen Stürzen geprägten olympischen Triathlon von London mit einem beherzten Sprint zeitgleich beendet. Die Auswertung des Fotofinishs bestätigte kurz nach Zieleinlauf die Schweizerin aus dem Hause des Erfolgstrainers Brett Sutton als Goldmedaillengewinnerin, die sprintstarke Nordén kann sich über Silber freuen.
Nicola Spirig (SUI) im Hintergrund hatte wenige Tausendstel einer Sekunde entscheidende Körperteile vor Lisa Nordén (SWE) im Ziel. Photo: IOC - LOCOG - Omega Timing
Von den hoch gehandelten Top-Favoritinnen erfüllte die Australierin Erin Densham mit Bronze gerade so noch die exorbitant hohen Erwartungen. Lokalmatadorin Helen Jenkins fiel auf den letzten Metern des Rennens aus den Medaillenrängen heraus. Sie hielt dem riesigem Druck nicht Stand und bestätigte einmal mehr, dass Favoritensiege beim Triathlon von Olympia selten vorkommen. Jenkins konnte trotz zweier abgestellter Helferinnen nicht die erhoffte Goldmedaille am Hyde Park holen.
Anne Haug (GER) kam bei ihrem ersten Einsatz bei den Olympischen Spielen im Triathlon dank einer herausragenden Laufleistung auf den 11. Gesamtplatz und wurde beste Deutsche. Photo: DTU - Petko Beier
Bemerkenswert waren an diesem Tag der zahlreichen Stürze auf den vom nächtlichen Regen rutschigen Abschnitten roten Asphalts aber Details der Renntaktiken einzelner Nationen. Während zahlreiche Athletinnen wie Andrea Hewitt oder auch Jenkins dem hohen Lauftempo von knapp unter 34 Minuten auf den letzten 2 Laufkilomtern Tribut zollen mussten, glänzte die US-Amerikanerin Sarah Groff durch einen progressiven Lauf, der sie wieder zurück in die Spitzengruppe und auf Rang 4 brachte.

Ebenfalls bemerkenswert der Laufsplit der Deutschen Anne Haug, der exakt die Splits der beiden Erstplatzierten spiegelt. Was wäre also möglich gewesen, wenn die Triathletinnen der Deutschen Triathlon Union einer Teamtaktik gefolgt wären? Was wäre gewesen, wenn Svenja Bazlen nicht beständig Führungsarbeit in der ersten Gruppe geleistet hätte, keine Energie in einem halben Dutzend sinnloser "Antritte" vergeudete ohne sich selbst in der Position entscheidend verbessern zu können? Eine oder zwei beherzte Attacken wären an dieser Stelle erfolgversprechender gewesen.
Anja Dittmer (GER) bestätigte mit dem 12. Platz bei ihrem vierten Start im Olympischen Triathlon ihre Zugehörigkeit in der Weltspitze bei wichtigen Rennentscheidungen. Eine Muskelverhärtung im Vorfeld und Krämpfe im Rennen selbst verhinderten möglicherweise das beste Ergebnis ihrer langen Karriere. Photo: DTU - Petko Beier
Was wäre also gewesen, wenn sich eine mit einer Muskelverhärtung im Vorfeld und Krämpfen im abschließenden Laufen herumplagende Anja Dittmer in den Dienst von Haug gestellt hätte? Was hätte Anne Haug, seit den Zeiten einer Sonja Krolik schnellste Läuferin der DTU, am Tag X erreichen können? Sie hat an ihrer Schwimmschwäche gearbeitet, kam mit übersichtlichem Abstand aus dem Serpentine Lake und hatte doch keine Chance an diesem 4. August. Auf dem Rad wurde - wenig überraschend - in der Spitze nicht wie bei so vielen Welt Cup Events gebummelt. Haugs eigene Gruppe harmonierte nicht, nur wenige Triathletinnen waren zu einer Mitarbeit bereit oder fähig. Alles kaum überraschende Umstände, Faktoren mit Ansage: Die DTU war einer Medaille bei Olympia im Triathlon der Frauen noch niemals so nah'.

Die Olympischen Spiele von Rio de Janeiro 2016 erscheinen Lichtjahre entfernt, neue Talente kommen und gehen wie Verletzungen. Ein Wechsel von Haug, die sich ausserhalb der Förderstrukturen der Deutschen Triathlon Union für London qualifizieren konnte, auf ein Non-Drafting Format erscheint möglich.
Svenja Bazlen (GER) leistet sehr viel etwas ungestüm wirkende Führungsarbeit in der ersten Radgruppe ohne sich dabei absetzen zu können. Zeitgleich verhinderte sie den Anschluss der zweiten Gruppe mit Anne Haug. Photo: DTU - Petko Beier
Muss man die Athletinnen und die Verantwortlichen der DTU kritisieren? Ein klares "Jein". Es ist gut und richtig, dass die DTU keine reinen Wasserträgerinnen nominiert, sondern klare und transparente Kriterien formuliert und diese einhält. Gratulation dafür. Die Schweiz hatte mit Daniela Ryf extra eine Helferin für Spirig abgestellt, die aber zu keinem Zeitpunkt auf dem Rad für ihre Teamkollegin in Erscheinung treten konnte. Bereits nach dem Schwimmen lag sie hoffungslos abgeschlagen zurück. Für diese Edelhelferin wurde die individuell stärker einzuschätzende Eidgenössin Melanie Anaheim nicht nominiert. Anaheim, die über die Qualifikationsperiode die wichtigen Punkte zur Entsendung der zweiten Schweizer Athletin gesammelt hat. Ein Umstand der Athleten traurig und wütend machen kann, vielleicht auch destruktiv werden lässt.

Noch desaströser die Bilanz der Gastgeber aus Großbritannien: keine Medaille für Jenkins und zwei Helferinnen, die selbst Platz 26 und 33 erreichten, aber individuell stärkeren Athletinnen vorgezogen wurden. Triathletinnen, die auch hier die Kohlen der maximal verfügbaren drei Startplätze aus der mühseligen Qualifikationsphase für den Gastgeber aus dem Feuer geholt haben und dafür vom Verband abgestraft wurden.

Selbst Australien, wegen ihrer Nicht-Nominierung der Goldmedaillengewinnerin von Beijing Emma Snowsill heftig kritisiert, ist durch Denshams Bronze-Medaille mit einem dicken blauen Auge gerade so davongekommen. Dem eigenen Anspruch wird der 3. Platz nicht gerecht werden.

Es ist aber nicht richtig gewesen, dass die DTU den nominierten Triathletinnen keine Teamtaktik ans Herz gelegt hat oder diese nicht umgesetzt wurde. Ja, Triathlon ist eine Individualsportart. Im Sinne der Chancengleichheit muss sich aber auch der Triathlon in Deutschland der Wirklichkeit stellen. Diese hat erstmalig den Einsatz von Edelhelfern im Olympischen Triathlon gesehen - mit Ankündigung. Das Herrenrennen von London wird noch deutlichere Bemühungen, etwa der Briten um Jonathan und Alistair Brownlee sehen, die bereits im Vorfeld, in den langen Trainingswochen vor London, eine funktionierende Schwimm-Radruppe sondieren. Rio 2016 wird wegen der vielleicht schon dann kürzeren Distanzen und Modi völlig neue Perspektiven für solche Teams eröffnen.

Hat Deutschland wegen eines taktischen Fehlers im Team eine Medaille verloren oder ist die individuelle Verwirklichung der sportlichen Einzelinteressen im Triathlon höher zu bewerten? Eine durchaus knifflige Frage, die verschiedene Interessensgruppen gegenseitig abwägend sehr unterschiedlich beantwortet werden kann...

Eine Antwort kann für alle Triathletinnen, die von Verbänden nicht nominiert wurden, ein schöner olympischer Moment geben. Paula Findlay, kanadischer Senkrechtstarter der Saison 2010, lag nach desaströsem Schwimmen und Radfahren kurz nach Beginn des Laufens weinend an der Seitenbande in den Armen eines Betreuers. Lange an einer Hüftverletzung laborierend kam das große kandadische Lauftalent nicht mehr rechtzeitig für London in Schwung. Das vorzeitige DNF war wenige Herzschläge entfernt. Es ist nicht im Detail bekannt, was der kanadische Betreuer ihr gesagt hat. Findlay trug schließlich den olympischen Gedanken weiter über die Laufstrecke, auf der sie kurze Zeit später von den besten Triathletinnen des Tages überrundet werden sollte, um als 52. und letzte aller 55 Starterinnen unter tosendem Applaus ins Ziel zu kommen. Findlay hat man die Chance auf eine Teilnahme aus Gründen der Teamtaktik nicht genommen. Das Erlebnis und wertvolle Erfahrungen kann ihr kein Mensch streitig machen.

Danke Kanada für den Mut und exakt diesen olympischen Moment, der dem Zielsprint von Spirig, Nordén und Densham nicht nachsteht. Glückwunsch an alle Finisher und Teilnehmerinnen und natürlich an Anne Haug, Anja Dittmer und Svenja Bazlen für die Plätze 11, 12 und 32 für die DTU.