Donnerstag, 2. Oktober 2008

Die schönste Nebensache der Welt. Radkoffer, Bike talk und Hightechspielerien

Schon vor einigen Tagen haben die ersten Athleten das Land in Richtung Sonnenuntergang verlassen. Im Gepäck haben sie mehr oder weniger Traininskilometer, FlipFlops, Sunblocker und in jedem Fall die geliebte Rennmaschine, die sich in den meisten Fällen in einem sperrigen Plastikmonster namens Radkoffer befindet.

Selbstverständlich wäre es lohnenswert sich in einer gesonderten Betrachtung mal den zahlreichen interessanten und komischen Anekdoten rund um das Reisen mit einem Radkoffer, bzw. dem was manche Leute so „Radkoffer“ nennen, zu widmen, aber hier, an dieser Stelle möchte ich mich mit bestimmten Details aus dem Inhalt und nicht mit der Verpackung selbst auseinandersetzen. Und, um das für den bereits hämisch grinsenden Koffer-Voyeur gleich klar zu stellen, ich meine den vorgesehenen Inhalt und nicht die Unterwäsche der Begleiterin die ihre >53 Bikinis wieder mal nicht in zwei konventionellen Gepäckstücken unterbringen konnte.

Der Inhalt von Triathleten-Radkoffern besteht heutzutage in der Regel aus ganz vielen, ganz teuren, ganz stylischen und ganz aerodynamischen Kohlefaserverbundbauteilen, und ein bisschen poliertem Metall. Zu meiner „Sturm und Drang“ Zeit war ein bisschen weniger „schwarzes Gold“ am Start, denn Carbonrahmen gab es nur wenige und bei den Laufrädern hatte man sich in der Szene für ein paar Jahre lang auf das kleinere, aerodynamischere 26“-Format geeinigt.

Für die Radindustrie war das zunächst ein Vorteil denn es konnten eine Menge neue Laufräder und Rahmen in dieser exotischen Grösse entwickelt und verkauft werden, außerdem konnte man für kleine Carbonräder mehr Geld verlangen als für Große aus Metall. In den letzten 10 Jahren hat sich dann aber auch die, im Bezug auf innovative Veränderungen am Material trotz ihrer hohen Experimentierfreudigkeit im Pharmabereich erstaunlich konservative Spezies der Strassenrennradfahrer mehr und mehr den nach immer besserer Aerodynamik strebenden Triathleten angeschlossen und damit die nötige Nachfrage für die Produktion von Hightechboliden in hohen Stückzahlen geschaffen.

Unterschiedliche Laufradformate sind aber nicht mehr hilfreich, wenn man zwei Märkte mit einer Produktlinie bedienen will, und so geht die Epoche der 26-Zoll Hobel leider langsam aber unaufhaltsam ihrem Ende entgegen. Ein Phänomen, das an der sinkenden Vielfalt von 26 Zoll Reifenprodukten festgemacht werden kann und für viele Kleinlaufrad-Besitzer deshalb besonders tragisch ist, weil sie noch wirklich stabil gefertigte Alu oder sogar geradezu unverwüstliche Stahlrahmen besitzen, von denen sie sich aus so sentimentalen Gründen wie: „mit diesem QR Zero Gravity in Pink Graffiti habe ich damals doch den Buxtehude Duathlon gewonnen“ nicht einfach so trennen können.

Heute kommen Triathlon und Zeitfahrräder meist als Komplettlösungen, bzw als Rahmensets daher. Dem Vorteil dass alle Komponenten optimal auf einander abgestimmt sind, stehen zwei wichtige Nachteile entgegen:

Erstens: Die Flexibilität ist stark eingeschränkt, Ersatzteile können nur vom Hersteller und immer in genauer Übereinstimmung mit dem Rahmenmodel, im schlimmsten Fall sogar mit dem Baujahr, bezogen werden. Spezial Sattelstützen und mit dem Lenker fest verbundene Vorbauten erschweren die optimale Feineinstellung der Sitzposition. Steuersatz vom Kulthersteller kann man sich getrost sparen, denn es wird mit integrierten Teilen gearbeitet. Flaschenhalter können nicht angebracht werden oder sind Teil des Aerodynamikpaketes und damit in völlig absurden Flaschen an noch absurderen Stellen am Bike platziert.

Zweitens: Es ist sehr schwer dem Rad durch die sorgfältige und liebvolle Auswahl von Fetisch-relevanten Teilen und liebevollen Technikspielereien zu individualisieren, und damit trifft diese traurige neue Entwicklung mitten ins Herz von Nummer zwei. der vier Säulen des Triathlon Kults als da wären.:

  1. Kompromissloses Leben für den Sport

  2. Bedingungsloser Individualismus

  3. Hemmungsloser Körperkult

  4. Endlose Ausdauer

Mit einem Gruss an die zahlreichen echten Triathleten unter den Lesern, die es mit „endloser“ Ausdauer bis an diese Stelle geschafft haben komme ich nun zum Punkt auf den ich eigentlich von Anfang an hinaus wollte, nämlich die abgefahrene Tech-Accessoires.

Es gibt im Radmaterialbereich heute scheinbar viel weniger völlig schwachsinnige Gadgets als früher, und auch wenn gewisse innovative Entwicklungen im Bekleidungsbereich teilweise diese Aufgabe übernommen haben ist damit irgendwie eine Menge Spass abhanden gekommen. Grund für diese Entwicklung ist die zunehmende Verbreitung von echten Zeitfahrrädern und die ständige Weiterentwicklung der nötigen Zubehörteile durch professionelle Ingenieure, die den kühnen Erfindern von wirklich radikalen Teilen das Leben schwer machen.

Wer kennt sie denn heute noch, die Geräte mit den vielversprechenden Namen? Den sensationellen Seat Shifter, das wahnsinnig praktische Bike Stream, Uni Disc die Low Budget Variante der Scheibenräder, oder das praktische Wind-Cheeta Spiegelsystem. Von findigen Tüftlern in versteckten Hinterhofgaragen entwickelt fanden diese Spielzeuge ihren Weg in die Schaufenster der Triathlonläden.

Ich selber bin zwar nur auf eins der genannten Geräte reingefallen, aber es war mit Sicherheit eins der bescheuertsten. Das Wind-Cheeta war ein Spiegelsystem aus zwei ovalen Spiegeln die verstellbar unterhalb des Aerolenkers angebracht werden mussten. Eine sorgfältige Einstellung der Konstruktion ermöglichte das Fahren in Aeroposition mit entspannt nach unten orientiertem Gesicht. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase klappte das Ganze hervorragend und man konnte stundenlang nach Unregelmässigkeiten im Fahrbahnbelag suchen, ohne das Risiko einzugehen gegen einen nachlässig geparkten Lastwagenanhänger zu donnern. Da Aerohelme zu dieser Zeit noch kein Thema waren, konnte der Luftwiederstand des Fahrers mit diesem System sicher signifikant verringert werden. Ob man damit die verschlechterte Aerodynamik am Fahrrad kompensieren konnte ist aber mehr als fragwürdig. Meinen Wind-Cheeta habe ich dann abgebaut, als bereits nach 2 oder 3 Regenfahrten Rostflecken auf der Spiegelrückseite die Sicht signifikant eingetrübt hatten.
Zudem soll es Personen bei den großen Rennen in den USA gegeben haben, die nach der Einfahrt in T2 und erfolgreichem Wechsel nicht mehr geradeaus laufen konnten, weil sich ähnlich wie bei der 2-Spiegellösung im und am Helm mehr als nur eine Seite getauscht hatte: Das Gehirn hat sich schlicht an eine auf dem Kopf stehende Umgebung gewöhnt.

Dann und wann denke ich an in der „falschen“ Position eingerastete Seat Shifter, und plötzlich ins Gesicht des Fahrers explodierende Bikstream-Druckbetankungs Systeme und frage mich in einem Anfall von Sentimentalität, ob es nicht an der Zeit ist neue, grenzwertig innovative Spielzeuge zu entwickeln die unsere technische Experimentierfreudigkeit als Triathleten auf die Probe stellen. Dieses Feld den Hightechightech Thrombose-Strümpfen und den Spezial Kühlarmlingen zu überlassen wäre Schade, denn gerade heutzutage, wo sowieso jeder einen Aerocarbonrahmen aus dem Koffer zaubert muss es die kleinen Geheimwaffen geben, die sich nur die innovativsten unter uns an ihre Rennmaschine schrauben. Und wenn es nicht schon im Radkoffer steckt, mit ein bisschen Glück findet sich ja das eine oder andere Gadget auf der diesjährigen Ironman Messe.

So long, Holgi

Faris Al-Sultan talks auf dem Weg zum Ironman Hawaii 2008: Radausfahrt fast ohne Wiederkehr in Palm Springs

Faris Al-Sultan ist auf den Sprung nach Hawaii. Er berichtet auf 3athlon.de exklusiv von seiner Vorbereitung im kalifornischen Palm Springs und schildert eine Trainigsausfahrt an der Leistungsgrenze. (Bild: (c) W. Leitner)

Exkurs des Tages: Mein ganz individueller Plan gegen Jet-Lag

Ab und an pendele ich zwischen den USA und Deutschland hin und her. Da am Mittwoch der erste große Schwung von Anreisenden erwartet wird, kommt (hoffentlich nicht zu spät) mein Tipp gegen das große Übel beim Sprung über den Teich. Dabei habe ich meine ganz eigene Strategie gefunden, um gegen die Ermattung durch die Zeitumstellung und den Stress umzugehen.

Vor dem Flug
Einen Tag vor dem Flug sollte - wer kann - am Vormittag ordentlich Laufen oder anderes Landtraining betreiben. Am Abend wird dann geschwommen und in der Nacht vor dem Abflug wenn möglich nur 1 bis 3 Stündchen geschlafen. Halt soviel, dass der Kopf beim Check-in noch mitspielt…

Der Flug
Kaum im Flieger angekommen, richte ich meinen Wachrhythmus auf den Zielort ein. Ich orientiere mich dabei aber auch an möglichen Stop-Over Möglichkeiten, sprich wann ich den Flieger wechseln muss. Wobei ich die „One-Stop“-Option beim Flug nach Kona in San Francisco oder Los Angeles der Zwei-Stop Strategie via Chicago oder New York vorziehe. Ziel sollte es also sein in der „Nacht“ im Flieger durchzuschlafen. Wenn es „Tag“ am Zielort ist, mache ich ab und an Gymnastik und kümmer mich um die zu Verkürzung neigenden Muskeln der Hüfte, des unteren Rückens und der Beine.

Zwei Freunde
Wichtigste Begleiter für einen entspannenden Flug sind Kompressionsstrümpfe und „Noise Reduction“-Kopfhörer. Das sonore Rauschen der Flieger geht einem gehörig auf den Geist und ermüdet auf Dauer. Mit den Kopfhörern ist die Belästigung doch erheblich abgemildert und eine der besten Anschaffungen, die man machen kann.

Bleibt nur die Frage nach der richtigen Platzwahl. In einem Flieger gibt es je nach Typ gute und weniger gute Plätze in der Economy-Klasse. In der First und Business Class sieht das etwas anderes aus, das sind fast alle Plätze gut. Infos zu den besten Plätzen auf den Flügen können bei einschlägigen Webseiten eingeholt werden und bei der Reservierung berücksichtigt werden. Bei der Sitzplatzwahl haben Gangplätze sicher Vorteile, allerdings können die Nachbarn am Fensterplatz bei schwacher Blase zu einer echten Herausforderung werden. Hier kann ein Mittelplatz oder Blick aus dem Fenster mehr Sinn machen. Beim Essen im Flieger halte ich mich an Leichtverdauliches und habe lieber etwas Hunger.

Was anziehen?
Ein Wort an dieser Stelle zur Kleidung. „Loose fit“ aus Naturfasern ist bei mir die Klamotte der Wahl. Eng anliegendes und voll plakatiertes Multifunktions-Dingsbums sieht a) Scheiße aus, ist b) durch den Wärmestau unbequem und c) peinlich – am besten noch mit Oakley im Haar. Turnschuhe sind auch fehl am Platz – schließlich fliegt man quasi im Wohnzimmer in das Paradies: Flip-Flops oder andere bequeme „Hausschuhe“ a la Crocs, die die Füße atmen lassen bevorzuge ich da eher. Neben einer Jacke mit hoch schließendem Kragen ist bei mir eine Mütze Pflicht. Dann kann einem die Klimaanlage weder den Nacken versteifen, die Nase zum tröpfeln bringen oder die Sicht für den anstehenden Ausstieg am Keahole Airport durch Zugluft verhageln.

Kleiner Workout
In Kona am frühen Abend angekommen, geht es kurz in den Pool oder direkt am Pier für 10 Minuten ins Wasser, um sich zu lockern und Verspannungen zu lösen. Bei Dunkelheit in den Pazifik zu gehen ist sicher nicht schlau, daher sind der Hotelpool oder Kona Aquatics zu bevorzugen. Neben der allgemeinen Lockerung pustet dabei die Lunge ordentlich durch und erholt sich von der trockenen Fliegerluft. Der ein oder andere Keim mag auf diesem Weg auch den Körper verlassen. Gewollter und angenehmer Nebeneffekt: Der Kreislauf wird angekurbelt und man wird wach.

Lieber Sandmann
Ins Bett gehe ich dann nach Lokalzeit nicht vor 11:00 Uhr und stelle den Wecker auf 5:00 Uhr am Morgen. Eine an Eiweiß reiche Nahrung am Abend hält auch eher wach, als Kohlehydrate und füllt die leidenden Carbo-Speicher trotzdem ausreichend auf, wenn Reis als Beilage hinzugefügt wurde. In der Regel schlafe ich in der ersten Nacht durch und behalte die Aufstehzeit bei.

Der frühe Vogel fängt den Wurm
In Kona beginnt das öffentliche Leben sehr früh und endet dabei spätestens gegen 10:00 oder 11:00 Uhr – schließlich geht die Sonne bereits im 18:00 Uhr unter und die Hormone werkeln dann stark am „Einschlafmodus“. Die viele frische Luft trägt ebenfalls zur gesunden Müdigkeit bei.

Auch eine Art Hangover
Am nächsten Tag folgt meistens gegen Mittag der gewaltige Hänger. Wer urplötzlich hundemüde in den Seilen hängt, sollte sich 15 oder 20 Minuten mit gestelltem Wecker hinlegen und dann einen kurzen oder längeren Jogg machen und sowieso viel Licht an den Körper lassen. Dazu reicht in Kona der Aufenthalt im Schatten. Durch die Aktivität sind die nächsten Stunden bis zum Abendessen gerettet. Ab dem zweiten Tag habe ich in Kona trotz 11 bis 12 Stunden Zeitverschiebung keine Probleme mehr.
P.S.: Kompressionssocken waren schon beim IRONMAN Frankfurt 2007 der Schmunzler unter der WTC-Crew: „Hopefully we don’t see this in Kona.“ „Shall we bet?“. Daraus wird wohl nix - die Socken setzen sich langsam aber sicher (bei den Europäern) durch. Keine Knackwaderln über dünnen Fesseln zu zeigen sind der aktuellste Gimmick-Gag oder Prüderie, sondern spezielle Socken.

Foto: Bose